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Die Goetheschule Essen ... mehr als Unterricht!

Der Zusatzkurs Geschichte auf den Spuren der jüdischen Schüler der Goetheschule Essen

Das im Jahr 1992 gestartete Projekt „Stolpersteine“ stammt von dem Künstler Gunter Demnig und soll europaweit an die zu der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten, deportierten und ermordeten Menschen erinnern. Die Stolpersteine werden in Form von quadratischen Gedenktafeln aus Messing mit den Namen der vom Terrorregime der Nationalsozialisten verfolgten Menschen, ihren Geburtsdaten und den Daten und Orten der Verfolgung und Ermordung meist vor den letzten frei gewählten Wohnstätten dieser in den Boden eingelassen. In einigen Fällen werden die Stolpersteine auch vor den von den Deportierten besuchten Schulen verlegt.

Unser Projekt begann damit, dass sich Frau Hartings als Stolpersteinbeauftragte des Historischen Vereins der Stadt Essen bei unserer Schule mit dem Anliegen meldete, ob dem Schularchiv noch Informationen über Herbert Weis, einem deportierten ehemaligen Schüler, sowie seinen letzten Wohnort vorliegen.

Da dies nicht der Fall war, kamen Herr Herdemerten, der Lehrer des Zusatzkurses Geschichte in der Q2, und der Historische Verein Essen auf die Idee einen Stolperstein für Herbert Weis vor unserer Schule verlegen zu lassen, da er das Bredeneyer Realgymnasium, so der Name unserer heutigen Goetheschule, besuchte. Schnell wurde der Plan gefasst, auch für die sieben weiteren ehemaligen Schüler der Goetheschule bzw. des Bredeneyer Realgymnasiums, die von dem nationalsozialistischen Terrorregime deportiert und ermordet worden waren, ein Denkmal zu setzen, da wir feststellten, dass die bereits vorhandene Gedenktafel neben dem Kunstraum 34 im zweiten Stock wegen der abgelegenen Lage eher wenig Beachtung findet.

Das Projekt startete bereits vor der Pandemie, musste jedoch aufgrund des ersten Lockdowns auf Eis gelegt werden.

Im Sommer 2021 konnte es wieder aufgenommen werden und wir wurden mit der Aufgabe betraut, Informationen über alle Betroffenen zunächst durch Internetrecherche zu sammeln. Dafür haben wir uns in Gruppen mit dem Leben jeweils eines Schülers beschäftigt.

Durch die Zusammenarbeit mit Frau Hartings bekamen wir die Möglichkeit, auch das Essener Archiv für weitere Recherche zu nutzen. Dadurch erhielten wir Zugang zu den Wiedergutmachungsakten und teilweise auch Geburtsurkunden der acht Schüler. In einigen Fällen konnten zusätzlich Fotografien gefunden werden, die Frau Heup von dem Archiv der Alten Synagoge Essen freundlicherweise zu Verfügung gestellt bekommen hatte.

Nach ausführlicher Sichtung der gesammelten Informationen begannen wir mit dem Erstellen von Lebensläufen und entschieden uns, Plakate mit den wichtigsten Informationen und Fotografien zu designen, um diese im Treppenaufgang der Schule auszustellen.

Es ist geplant, die Lebensläufe bei der Verlegung der Stolpersteine zu präsentieren.

Auch die Fachschaft Kunst hat sich mit dem Thema beschäftigt. Hier geht es weiter...

Jüdische Schüler an der Goetheschule

Kurt Artur Arnstein

Kurt Artur Arnstein

Wir gedenken Kurt Artur Arnstein.

Kurt Artur Arnstein wurde am 23.Oktober 1915 in Essen geboren.

Er besuchte die Goetheschule in Essen-Rüttenscheid. Genaue Daten zu seiner Schulzeit sind nicht vorhanden.

Seine Eltern waren Eduard Arnstein und Paula Kahn. In Kurts Akten im Stadtarchiv Amsterdam ist vermerkt, dass er ein Schmuckhändler war.

Aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten flüchtete er 1936 in die Schweiz. Anschließend führte ihn seine Flucht 1937 in die Niederlande.

Seine erste Adresse in Amsterdam war „Meehrhuizenplein 12-1“, wo er seit dem 11. Mai 1937 wohnte.

Am 23. September 1939 zog er in die „Korte Meerhuizenstraat 15-2“. Danach zog Kurt am 23. Juli 1940 in die Jekerstraat 21-3.

Am 11.Juli 1939 zog Mietje in die Scheldestraat 56-2.

Nur zwei Monate vor ihrer Hochzeit zog Kurt am 1. April 1942 in dasselbe Haus, jedoch in die Wohnung im 1. Stock. Dort lebte er bis zur Hochzeit.

Im Juni 1942 heirateten er und Mietje (Mimi) Abrahamson.

Aus einer Polizeiakte über Mietje Abrahamson (29.04.1918) wird deutlich, dass sie am 1.12.1941 eine Anzeige wegen ihres gestohlenen Fahrrads erstattete. Dabei wurde vermerkt, dass sie als Schneiderin arbeitete.

Das Ehepaar lässt sich in Amsterdam in der Scheldestraat 56-2 im Elternhaus von Mimi nieder, von wo aus sie nur wenige Monate später nach ins „Durchgangslager“ Westerbork deportiert wurden, um von dort aus zwei Tage später am 10. August 1942 nach Auschwitz verschleppt zu werden.

Am 30.09.1942 werden Kurt und Mimi ermordet. Sie wurden nur 26 bzw. 24 Jahre alt.

Quellen

Leo Behr

Lebenslauf Leo Behr

Wir gedenken Leo Behr.

Leo Behr wurde am 31.03.1917 in Essen geboren. Er besuchte von Ostern 1928 bis Ostern 1932 die Goetheschule in Rüttenscheid und verließ diese vor der Erlangung der Reifeprüfung. Er wollte den Beruf des Kaufmanns erlernen, woraufhin er eine kaufmännische Lehre bei der Firma Neumann und Mendel begann. Hier absolvierte er drei Lehrjahre.

Aufgrund der „Arisierung“ musste Leo Behr die Firma im November 1938 verlassen. Während seiner Lehrjahre hatte er vermutlich ein gutes Einkommen.

Kurz vor oder nach der „Arisierung“ der Firma erschien der Vater dort und erklärte, dass sein Sohn nicht mehr am Arbeitsplatz erscheinen könne, da er aufgrund von nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen als Zwangsarbeiter im Straßenbau eingesetzt wurde.

Am 27.10.1941 wurde er zusammen mit seinem Vater Gustav Behr und dessen Ehefrau Regina Regine Behr ab Düsseldorf in das so genannte Ghetto Litzmannstadt/Lodz in Polen deportiert. Der Grund für die Inhaftierung war, dass er ein Jude war.

Regina Behr wurde am 26. Juni 1944 in Litzmannstadt ermordet.

Sein Vater Gustav Behr wurde am 08. Juli 1944 im Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno in der Nähe der polnischen Stadt Dabie ermordet.

Bereits am 13.05.1942 kam Leo Behr im Alter von nur 25 Jahren im Ghetto Litzmannstadt ums Leben.

Quellen

Siegfried David Griffel

Lebenslauf Siegfried David Griffel

Wir gedenken Siegfried David Griffel.

Siegfried David Griffel wurde am 1. November 1923 in Gelsenkirchen-Horst als Sohn von Pessia Griffel, geborene Schuhmacher, und Chaim Griffel geboren.

Zusammen mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Max wohnte Siegfried ab 1932 in Essen in der Waldhausenstraße 4. Dort besuchte er die jüdische Volksschule, wo er als Musterschüler galt. Dies bot ihm die Möglichkeit, ab 1934 die Goetheschule mit einem Stipendium zu besuchen. Er galt als hervorragender Mathematiker und musikalisch begabter Violinist.

Mit 14 Jahren wurde Siegfried am 28. Oktober 1938 zusammen mit seinen Eltern im Rahmen der „Polenaktion“ in das Transitghetto Zbaszyn bzw. Bentschen deportiert. Siegfrieds Bruder Max konnte nach Palästina fliehen.

In Bentschen wurden die einreisenden Personen registriert und wer Familie bzw. einen Ort zum Unterkommen hatte, durfte ins Landesinnere weiterreisen. So ging Siegfried mit seinen Eltern nach Nadworna, da dies der Heimatort seines Vaters war und dieser dort noch Familie hatte. Dort versuchte er, seine nun mittellosen Eltern mit Geld aus Nachhilfestunden zu unterstützen, während sein Vater als Tagelöhner im Sägewerk ,,Foresta” arbeitete.

Es ist nicht bekannt, wie genau Siegfried verstorben ist. Mit Wirkung vom 8. Mai 1945 wurde er für tot erklärt. Es wird vermutet, dass Siegfried zusammen mit seinen Eltern bei der Massenerschießung am 1. Januar 1941 am Bahnhof von Nadworna beim Vormarsch der deutschen Truppen ermordet wurde.

Siegfried David Griffel wurde nur 17 Jahre alt.

Quellen

  • Elisabeth Hoffmann: „Und dann wurden wir in die letzte Bank gesetzt.“ – Das Schicksaal der jüdischen Schüler am Realgymnasium in Bredeney und an der Goetheschule in Rüttenscheid. In: Erfahrungen-Begegnungen-Herausforderungen: 100 Jahre Goetheschule Essen. Hrsg. Von Vera Bittner und Patrick M. Goltsche. 1. Aufl. Essen 1999

  • Herrmann Schröter: Geschichte und Schicksal der Essener Juden. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Essen. Hrsg. Stadt Essen. 1980

  • Wiedergutmachungsakte 158/G603. Stadtarchiv Essen

  • Archiv der Alten Synagoge Essen

  • Gedenkbuch der Alten Synagoge

  • Zum Download des gesamten Berichts mit Fotos

Kurt Rudolf Kern

Kurt Rudolf Kern

Wir gedenken Kurt Rudolf Kern.

Kurt Rudolf Kern (in manchen Quellen auch Kurt Rolf Kern oder Curt Kern geschrieben) wurde am 22. März 1921 als einziger Sohn von Mathilde Kern, geborene Wolff, und Otto Kern in Landau in der Pfalz geboren.

Seine Eltern erzogen ihn streng jüdisch. Sein Vater war als Kaufmann tätig. Er war als Handlungsagent in Textilien beschäftigt. 1930 zog die Familie nach Essen in die Papestraße 42, eine weitere mögliche angegebene Adresse ist die Moorenstraße 14.

Zur Osterzeit im Jahr 1931 kam Kurt als Schüler der fünften Klasse auf die Goetheschule Essen-Rüttenscheid. Er ging mit Ernst Krombach in eine Klasse. Von seinem Sitznachbar und gutem Schulfreund Hans Kilian wird er als „schmächtiger Junge mit sehr kurz geschnittenen rot braunen Haaren und einem winzig kleinen Gesicht voller Sommersprossen“ beschrieben.

Des Weiteren beschreibt Hans Kilian ihn als ängstlich und leicht aus dem Konzept zu bringen. Vermutlich hatte er Angst vor der antisemitisch motivierten Feindseligkeit ihm gegenüber. Für Soldatenspiele, die damals üblich waren, hatte er nichts übrig. Er fand Zigarettenbilder mit Filmschauspielerinnen und Schönheitsköniginnen viel schöner, als solche mit Uniformen und Soldaten.

Manche Lehrer, insbesondere der antisemitisch eingestellte Oberstudienrat Störling, der von der sechsten bis zur achten Klasse in Latein und evangelischer Religionslehre Unterricht in Kurts Klasse gab, tätigte immer wieder antisemitische Äußerungen wie z.B., dass bestimmte Schüler in diese Schule „in Wirklichkeit nicht hineingehören“. Auch von seinen Mitschülern wurde Kurt oft gehänselt. Er wurde aufgrund seines Aussehens von Schülern „Spitzmaus“ genannt und litt, laut Hans Kilian, sehr darunter. Er kämpfte zunehmend darum, ernst genommen zu werden, so spielte er einmal mit sehr viel Eifer bei einem Fußballspiel mit und verschaffte sich dadurch bei seiner Klasse etwas Anerkennung.

Ab Herbst 1932 verschlechterte sich das Schulklima immer weiter, was für Kurt zunehmend belastender wurde. So gab Störling „Gesinnungsunterricht“, auf den Kurt mit zunehmender Angst reagierte, besonders wenn er nach Hausaufgaben gefragt wurde. Insgesamt erfuhr er in seiner gesamten Schulzeit sehr viele Demütigungen von Lehrern und Mitschülern.

Im Frühling 1933 lief Kurt Kern mit seinem Schulfreund Hans Kilian die Rüttenscheider Straße entlang. Sie kamen an einem Schaukasten mit Bildern zum Thema „Die Juden sind unser Unglück“ vorbei. Kurt Kern reagierte darauf, indem er bemerkte, dass alle gegen ihn seien und keiner helfe, wenn es darauf ankomme.

Im Jahre 1939 wurden Kurt und seine Eltern in ein „Judenhaus“ in der Ruhrau 40 eingewiesen und am 18. April 1942 wurden sie schließlich in das mit Stacheldraht umzäunte Barackenlager Holbeckshof in Essen-Steele verschleppt. Dieses Lager war Ausgangs- und Sammelpunkt für die Deportationen von Essener Juden. Die meisten Bewohner wurden von dort aus ins Transit-Ghetto Izbica und nach Theresienstadt deportiert. Auch Kurt und seine Familie wurden von dort aus am 15. Juni 1942 in das Transit-Ghetto Izbica mit 62 anderen Juden gebracht.

Das Transit-Ghetto Izbica lag in Polen, südöstlich von Lublin. Es diente als Durchgangsstation in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor.

Kurt Kern wurde vermutlich von Izbica ins Konzentrationslager Sobibor deportiert, wo er ermordet wurde. Das Lager lag ganz im Südosten von Polen. Die Juden dort erstickten größtenteils in Gaskammern durch Motorgase. 250.000 Juden wurden in den Gaskammern ermordet, darunter auch Kurt Kern. Er wurde am 8. Mai 1945 für tot erklärt. Er starb aber vermutlich im Jahr 1942.

Er wurde nur 21 Jahre alt.

Quellen

Ernst Arthur Krombach

Ernst Arthur Krombach

Ernst Arthur Krombach

Wir gedenken Ernst Arthur Krombach.

Ernst Arthur Krombach wurde am 17. September 1921 als Sohn des Rechtsanwaltes Dr. David Krombach und seiner Ehefrau Minna in Essen geboren und wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Die Familie Krombach wohnte in der Max-Fiedler-Straße 26. Gemeinsam mit seinem Bruder Heinz erlebte Ernst eine sorglose, unbeschwerte Jugend. Bis zum zehnten Lebensjahr besuchte er die jüdische Volksschule in der Sachsenstraße. Anschließend wechselte er dann auf die Goetheschule, die sich damals in der Alfredstraße befand. Im Jahre 1937 zwang man ihn, die Schule mit dem"Einjährigen" zu verlassen, da man jüdischen Schülern kein Abiturzeugnis aushändigte.

Ernst ging daraufhin nach Berlin, um in einem chemischen Labor ein Praktikum zu absolvieren. Dort erlebte er am 9. November 1938 die Reichspogromnacht. Anschließend kehrte er nach Essen zurück. Anfang 1939 begann Ernst ein landwirtschaftliches Praktikum auf der vom „Centralverein deutscher Bürger jüdischen Glaubens“ eingerichteten Gartenbauschule in Ahlen bei Hannover. Im gleichen Jahr floh sein Bruder Heinz nach Argentinien. Ernst dagegen blieb mit seinen Eltern in Deutschland, um auf ein amerikanisches Visum zu warten. 1940 war er wieder in Essen und engagierte sich aktiv in der jüdischen Gemeinde. Die Nationalsozialisten verpflichteten ihn - wie viele Essener jüdischen Glaubens- zu Zwangsarbeit. Am 22. April 1942 wurde er gemeinsam mit seinen Eltern nach Izbica deportiert. Ernst schrieb an seine Freundin Marianne Strauß: „Ich habe den Willen durchzukommen.“ Dennoch wurde er im selben Jahr ermordet. Seine Eltern waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Sein Bruder überlebte in Argentinien.

Es existiert nur eine einzige wirkliche Schilderung der Lebensverhältnisse in Izbica aus Sicht der Deportierten. Sie wurde von Ernst Krombach geschrieben und ist zugleich ein Zeugnis der Beziehung zwischen Ernst Krombach und Marianne Strauß aus Essen.
Die beiden jungen Leute hatten sich verliebt, verlobt und wollten heiraten. Als Ernst Krombach im Frühjahr 1942 die Deportationsanordnung bekam, überlegte das Paar, ob es nicht besser zusammenbleiben sollte, um ein gemeinsames Schicksal zu teilen. Das wäre jedoch nur gegangen, wenn Marianne Strauß ihre Familie verlassen und sich freiwillig zur Deportation gemeldet hätte. Marianne wäre vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgekommen, wenn Ernst die Lebensumstände im Osten als erträglich beurteilt hätte. Dies lässt sich in einem regelmäßigen Briefaustausch der beiden nachlesen.

Brief aus Izbica (22.08.1942)

Brief aus Izbica (22.08.1942)

Meine Liebste, Allerliebste!

Meine Gefühle und Freude kannst Du Dir sicher vorstellen! Das Mitgebrachte, das uns der Sorge für die nächste Zeit ums tägliche Brot enthebt. Das Erzählen und Erleben, alles auf einmal läßt so eine gehobene Stimmung und natürlich auch unbewußte Erregung aufkommen. […] Die Schwierigkeitenund Gefahren sind sehr groß, eine schlechte Möglichkeit, mich dort aufzuhalten bei der genaueren Statistik und Kontrolle und Ungewissheit für welche Dauer. Das Wichtigste und Unmögliche daran aber, daß ich meine Eltern in allergrößte Gefahr, d. h. wie die Erfahrung es bisher bewies in direkte Lebensgefahr bringe. […]

Furchtbar ist es, daß ich Dir nicht helfen kann und Dir im entscheidenden Moment - einer evtl. Evakuierung- nicht zur Seite stehen kann. […]

Das Strafgesetzbuch ist schnell zu erzählen: Todesstrafe: Henkersleute, die die Armen heranschleppen und zum Teil auch ausfindig machen, sind Juden. Verboten ist hier alles und die Strafe wie oben erwähnt: Verlassen des vorgeschriebenen Quartiers vor 7 oder nach 19 Uhr. Handeln und Einkauf oder Verkauf oder Sprechen mit polnischen Ariern. Backen von Brot. […]

Der 2. Transport kam auch aus der Tschechoslowakei und damit waren auch bis heute die Posten und Pöstchen besetzt. Dann kamen die Transporte nacheinander: Aachen, Nürnberg,

Aachen-Düren, Breslau, Essen, Stuttgart, Frankfurt, 2 x Slowakei, 2 x Theresienstadt usw. […] Für heute eine gute Nacht! Wie werde ich wohl schlafen?

Innigst,

Ernst

Brief (21.04.1942)

Brief (21.04.1942)

Jeanne!

Die letzte Nacht in der Wohnung und damit wohl auch noch einmal etwas »Ruhe«. Ein ungewöhnlich hartes Schicksal haben wir zu tragen. Darüber haben wir ja keine Zweifel.

Es wird uns sicher schwer fallen, nun plötzlich in schwierigerer Lage noch alleine sein zu müssen; besonders da wir zuletzt täglich zusammen waren und dem Zusammenleben in

einer Ehe sehr nahe kamen. Was könnte uns auch anderes erfüllen! […]

Liebes, »Geliebte«.

Ständig werde ich bei Dir sein, das mußt Du wissen und fühlen. […] Ich möchte hoffen, daß Du möglichst schnell Deutschland verlassen kannst. Wenn auch eine größere räumliche Trennung, so doch eine viel größere Beruhigung für mich. Wir werden und müssen uns wiederfinden! […] Dein Ernest

(In einem unbewachten Augenblick- eine Frau überlebt im Untergrund, Mark Roseman)

Quellen

  • „Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust“;Steffennschen. Berlin 2018

  • „Ernst Krombach & seine Deportation in das ‚Transitghetto‘ Izbica“, Joachim Schröder; Vortrag am 03.04.2017 in Düsseldorf

  • Gedenkbuch Alte Synagoge, Artikel über Ernst Krombach verfasst von Ulrike Sarunski im Juli 1989

  • In einem unbewachten Augenblick – Eine Frau überlebt im Untergrund“; Mark Roseman; Berlin 2002

  • Zum Download des gesamten Berichts mit Fotos

Heinz Wolfgang Nassau

Heinz Wolfgang Nassau

Wir gedenken Heinz Wolfgang Nassau

Heinz Wolfgang Nassau wurde am 27.11.1908 in Rüttenscheid geboren. Seine Eltern waren Gustav Nassau, Mitglied im Vorstand der Jüdischen Gemeinde, und Lilli Nassau. Heinz hatte zwei jüngere Geschwister, die 1910 geborene Ruth Auguste und den 1913 geborenen Reinhard Fritz Bernhard.

Die Untersekundarstufe beendete Heinz an der Goetheschule. Heinz überlegte eine kaufmännische Karriere einzuschlagen und fing daher mit einer Lehre bei der Firma H&L in Freudenberg an. Er unterbrach die Lehre und besuchte stattdessen die Webeschule in Aachen. Heinz erlangte sein Abitur 1930 als Internatsschüler am „Deutschen Kolleg“ in Godesberg.

In Heidelberg begann er das Jurastudium , musste dieses jedoch aufgrund der „Nürnberger Gesetze“ abbrechen und als einer von vielen jüdischen Studenten die Universität verlassen.

Mit 28 Jahren zog er nach Holland, um in der Firma eines Onkels zu arbeiten. Nach dem Verkauf der Firma kehrte Heinz wieder nach Deutschland zurück und arbeitete im „Jüdischen Jugendheim“ (Essen) als Bibliothekar.

Bereits zu Beginn des Hitler-Regimes war die Familie Nassau darum bemüht, ins Ausland und damit auch in Sicherheit zu gelangen. Seine Schwester Ruth erhielt 1934 eine Reisegenehmigung ins sichere Palästina und Reinhard 1936 eine zur Ausreise nach Südafrika.

Nach der sogenannten „Reichskristallnacht“ floh Heinz noch am 10. November in die Niederlande, da das gesamte Eigentum der Familie Nassau den Brandstiftungen zum Opfer gefallen war. Im Jahr darauf gelang es seiner Mutter, ihrem jüngsten Sohn Reinhard nach Südafrika zu folgen.

In den Niederlanden arbeitete er am „Huis Oosteinde“, welches deutsche Emigranten sozial und kulturell betreute. Auch privat half er so vielen Menschen wie möglich bei der Flucht aus Deutschland. Nachdem im Mai 1940 die deutsche Wehrmacht in Holland einmarschiert war, wurde Heinz ab 1941 unter dem Pseudonym „ORA“ journalistisch für die Widerstandsorganisation „Vrij Nederland“ tätig und veröffentlichte Artikel. Er beschaffte auch Ausweispapiere für die Flüchtlinge zum Schutz vor der Deportation.

Während die Gestapo Heinz (ORA) auf der Spur war, entging er nur knapp einer Verhaftung und tauchte unter. Im Untergrund verfasste er am 6.9.1943 einen Abschiedsbrief, adressiert an seine Mutter und Geschwister. Da Mitglieder des „Jüdischen Rats“ und ihre engsten Angehörigen nur geringen Schutz vor der Deportation hatten, heiratete Heinz Lotte R. im Jahr 1942 zum Schein. Eng befreundet war er jedoch mit Mieke, die ebenfalls für „Vrij Nederland“ tätig war und später verhaftet und ermordet wurde. Bevor ihn seine Reisegenehmigung nach Südafrika erreichte, wurde er in Amsterdam von der Gestapo verhaftet.

In Westerbork gelang es ihm durch einen vorgetäuschten, aber dennoch gefährlichen Treppensturz eine Gehirnerschütterung vorzutäuschen, wodurch er in das weniger bewachte Lazarett gelangte. Seine mögliche Flucht scheiterte daran, dass verschiedene Leute, darunter auch Teile der Organisation „Vrij Nederland“, aneinander vorbeigeplant hatten und sich trotz bester Absichten gegenseitig behinderten. Am 19. Oktober 1943 wurden alle Lazarettgefangenen nach Auschwitz abtransportiert. Heinz Wolfgang Nassau starb vermutlich noch im selben Monat. Nachträglich wurde sein Tod jedoch auf den 19.3.1944 datiert.

Quellen

  • „Gedenkbuch Alte Synagoge“, Artikel von Birgit Maluche (Januar 1992)

  • Wiedergutmachungsakte von Heinz Wolfgang Nassau, 158/200

  • Archiv: Essener Haus der Geschichte

  • Joods Monument (Eintrag zu Heinz Wolfgang Nassau)

  • Zum Download des gesamten Berichts mit Fotos

Werner Schüler

Werner Schüler

Hier lernte

Hans Werner

Schüler

Jg. 1901

Deportiert 1942

Transit-Ghetto Izbica

Ermordet

Wir gedenken Hans Werner Schüler.

Hans Werner Schüler wurde am 07.07.1901 in Essen geboren. Sein Vater war der Facharzt Dr. med. Leonhard Schüler, geboren am 31.08.1873, gestorben am 20.09.1928. Er war Besitzer einer Praxis in der Bahnhofstraße 20 in Essen. Hans` Mutter war Hedwig Julie Schüler geb. Anschel. Sie wurde am 05.08.1880 in Wuppertal-Barmen geboren und im April 1942 im Transit-Ghetto Izbica ermordet.

Hans Werner Schüler hatte eine jüngere Schwester namens Lore Margarete Camnitzer, geb. Schüler, welche am 01.05.1905, ebenfalls in Essen geboren und am 03.09. 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Sie heiratete am 02.08.1983 Alfred Camintzer (*30.11.1889). Mit ihrem Ehemann hatte sie eine gemeinsame Tochter namens Maud Lilian Camnitzer (*07.03.1939 The Hague). Beide wurden mit Lore Camnitzer nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Für alle drei wurden bereits Stolpersteine in Alermo in den Niederlanden verlegt, wohin sie vor ihrer Deportation geflohen waren.

Weitere bekannte Verwandte sind seine Großeltern väterlicherseits, Hermann und Emma Schüler, sowie Paul, Oskar und Helene Schüler, welche die Geschwister seines Vaters waren. Die Eltern seiner Mutter trugen die Namen Julius und Clara Anschel und hatten außer Hedwig Julie drei weiter Kinder namens Ernst und Hans Anschel sowie Emmy Schönewald.

Hans Werners Elternhaus befand sich in der Pelmanstr. 42 und war Eigentum seiner Familie.

Er besuchte das Realgynnasium in Bredeney und absolvierte dort im Jahr 1920 sein Abitur.

Nach seinem Abschluss arbeitete er als Musiklehrer in Essen. Während seiner Berufslaufbahn wechselte er oft seinen Wohnort. Am 12.5. 1939 musste er in das „Judenhaus“ in der Emmastraße 57 ziehen.

Ein Jahr zuvor erhielt er zwangsweise den Beinamen Israel.

Im Frühjahr 1942 wurde er gemeinsam mit seiner Mutter während einer Deportationswelle der Nationalsozialisten in das Transit-Ghetto Izbica gebracht und dort noch im selben Jahr ermordet.

Quellen

Herbert Weis

Herbert Weis

Wir gedenken Herbert Weis.

Herbert Weis wurde am 16.12.1913 als Sohn von David Weis in Krefeld geboren und zog in den folgenden Jahren mit seiner Familie nach Essen. Er besuchte das Realgymnasium in Bredeney und erhielt Ostern 1933 das Zeugnis der Reife mit der Gesamtnote gut. Er emigrierte am 28.09.1933 nach Frankreich.

Dort fing er 1935 an zu studieren, zunächst an der Univerität von Toulouse. Er erhielt am 02.04.1938 das “Diplom de Licensie es Sciences” und studierte in den darauffolgenden Jahren 1938/1939 Aeronautik und rationelle Mechanik an der Universität in Paris. Er erhielt ebenfalls ein Stipendium der renommierten Harvard-Universität für die Jahre 1939/1940, konnte dieses allerdings wegen des Kriegsausbruchs nicht wahrnehmen.

Zu Beginn des 2. Weltkrieges zog er in die Niederlande, wo er am 05.08.1942 Gertruide Cohen (geb. 12.06.1921 Den Haag) heiratete. Die beiden wohnten unter anderem in der Uiterwaardenstr. 24 in Amsterdam. Allerdings musste er in den Niederlanden ab dem 02.05.1942 den Judenstern tragen und wurde dort ebenfalls verfolgt. Schließlich wurde er am 17.07.1943 verhaftet und in das Transitghetto Westerbork eingewiesen. Am 20.07.1943 wurde er daraufhin in das Konzentrationslager Sobibor in Polen deportiert und drei Tage später, am 23.07.1943, getötet.

Seine Frau Gertruida überlebte den nationalsozialistischen Terror und zog später nach Australien, wo sie Anträge auf Wiedergutmachung stellen konnte, da Herbert Weis eine weitreichende akademische Karriere verwehrt wurde. Herbert Weis wurde nur 29 Jahre alt.

Karl Hirschland

Wir gedenken Karl Hirschland.

Hirschland 01

Karl Hirschland im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern und seiner Schwester Margot

(Quelle: Simon Hannam, privat)

Charles Hannam (geboren als Karl Ludwig Hirschland 26. Juli 1925 in Essen; gestorben 28. Mai 2015 in der Grafschaft Devon).

Er wurde als Sohn des jüdischen Bankiers Max Hirschland und seiner Frau Gertrud Elisabeth geboren. Der junge Karl wuchs zusammen mit seiner älteren Schwester Margot und seinen Eltern in einem gutbürgerlichen Einfamilienhaus in der Alfredstraße in Bredeney auf. Zum Haushalt der Familie gehörten ebenfalls verschiedene Hausangestellte sowie später Karls Großvater Freudenberg, welcher nach dem Tod seiner Frau zur Familie zog.

Geschichte der Familie Hirschland

Hirschland 02

Karl Hirschland mit seiner Mutter (Quelle: Simon Hannam, privat)

Geschichte der Familie Hirschland

Die Essener Familie Hirschland stammt vom Lehrer und Prediger Salomon Hirschland (1767-1839), welcher 1811 in die damals noch kleine Stadt Essen kam, ab. Aus seinen fünf Kindern gingen der erste jüdische Arzt Essens sowie die beiden Gründer der verschiedenen Bankhäuser hervor.

Der eben erwähnte Arzt Moses Hirschland (1810-1888) wurde nicht nur erster jüdischer Arzt und damit Akademiker, sondern auch erster jüdischer Abiturient Essens. Diese Ausbildung brachte ihm im Laufe seines Lebens die Position des Leibarztes der Essener Industriefamilie Krupp ein, welche zu den einflussreichsten Familien der damaligen Industrieregion Ruhr zählte. Die Familie Krupp zählte später auch zu den Kunden der großen Simon Hirschland Bank.

Neben Moses Hirschland und seinen beiden Brüdern, welche zu Bankgründern wurden, zählten ebenfalls der Tierarzt Salomon Hirschland (1799-1869), welcher nach seinem Vater benannt wurde, sowie sein Bruder Abraham Hirschland (1801-1866), der Kaufmann wurde, zu den insgesamt fünf Söhnen des Salomon Hirschland. Die größere der beiden Banken wurde von Simon Hirschland (1807-1885) im Jahr 1841 in Essen als Simon Hirschland Bank gegründet. Sein Sohn Isaac Hirschland (1845-1912), welcher als “Banker von Essen” bekannt wurde, heiratete 1874 seine Frau Henriette Hirschland geb. Simon (1851-1935). Die beiden hatten vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter. Sein Sohn Franz Hirschland (1880-1973) wanderte im Jahr 1906 in die USA aus. Der Ingenieur arbeitete bei verschiedenen New Yorker Firmen und wurde Mitgründer der New Yorker Hanseatic Corporation, bei welcher er sein Leben lang einen Platz im Aufsichtsrat innehatte.

Franz‘ Karriere in den USA machte ihn in der Familie als “Der Amerikaner” bekannt, wobei sein großer wirtschaftlicher Erfolg in den USA später seinem Bruder Georg und seiner Familie, welche verschiedene Anteile an amerikanischen Unternehmen hielten, bei der Einwanderung in die USA 1938 zugutekam. Franz’ Brüder Kurt (1882-1957) und Georg (1885-1942) wurden Eigentümer der väterlichen Simon Hirschland Bank. Kurt Hirschland, welcher mit Henriette Hildegard (1889-1963), geb. Simons, verheiratet war und mit ihr die vier Kinder August, Marianne, Paul und Ruth hatte, wurde durch sein Wirken als Leiter der Simon Hirschland Bank, seinen Sitz im Zentralausschuss der Reichsbank sowie durch seine Tätigkeiten in den Aufsichtsräten verschiedener Zechen und Unternehmen wie der Friedrich Krupp AG als “brillanter Bankier” bekannt. Ab 1931 zog er sich aus gesundheitlichen Gründen mehr und mehr aus dem Bankgeschäft und seinen anderen Positionen in der Industrie zurück.

Auf seine Karriere folgte eine lange Geschichte von Migration, geprägt durch Verfolgung und Flucht vor den Nationalsozialisten und ihrer antisemitischen Ideologie. Diese beginnt 1936 mit seiner Migration in die Niederlande, bis er dann im Dezember desselben Jahres in die USA reiste, nur um dann wieder nach Essen zurückzukehren, bis er dann 1939, nach der 1938 erfolgten Übernahme der Simon Hirschland Bank durch die Nazis, in die Schweiz auswanderte, wo er die Kriegsjahre mit seiner Familie verbrachte. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in den USA, in welche er 1950 auswanderte.

Sein Bruder Georg Hirschland (1885-1942) stand seinem Bruder Kurt in Bezug auf seinen wirtschaftlichen Erfolg in nichts nach. Georg Hirschland besuchte ebenfalls das Essener Burggymnasium und promovierte anschließend im Jahr 1907 als Jurist in Münster. Als er zurück nach Essen kam, heiratete er Elsbeth Hirschland (1893-1973), geb. Panofsky, welche Leiterin eines jüdischen Kindergartens in Essen war. Zusammen bekamen die beiden zwei Kinder, Dorothea und Heinz.

Georg war nicht nur zusammen mit seinem Bruder Kurt Leiter der Simon Hirschland Bank, sondern auch Mitglied verschiedener Vorstände und Aufsichtsräte von Unternehmen, Banken und Zechen. Er war ebenfalls Vorstand der jüdischen Gemeinde Essen und gründete zusammen mit dem Essener Rabbiner Hugo Hahn im September 1933 die Reichsvertretung Deutscher Juden. Darüber hinaus waren Georg und seine Frau Elsbeth begeisterte Kunstsammler und 1922 Gründungsmitglieder des Folkwang Museumsvereins. Nachdem sie 1938 nach der Zwangsliquidation ihrer Bank durch die Nazis in die USA auswanderten, mussten sie viele Bilder aus ihrem Kunstschatz weit unter Wert verkaufen und strichen daraufhin das Folkwang Museum aus ihrem Testament. Von den USA aus versuchten sie weiter, Essener Jüdinnen und Juden bei der Ausreise zu helfen. Georg unterstützte auf Bitten von Max Hirschland dessen Sohn Karl finanziell im Ausland und bot diesem sogar, an zu seiner Familie nach New York zu ziehen.

Das letzte der vier Kinder von Isaac Hirschland war seine Tochter Agathe (1875-1947), die den Richter Ernst Grünebaum (1861-1944) heiratete. Ihre beiden Söhne Erich (1902-1988) und Kurt (1905-1981) wurden beide Bankiers und später Fluchthelfer für Jüdinnen und Juden aus Deutschland.

Karl Hirschlands Familie

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Karl Hirschland mit Vater und Mutter

(Quelle: Fabisch Norbert. Die Hirschlands- Aufstieg und Vertreibung einer jüdischen Bankiersfamilie (Berlin Leipzig Hentrich & Hentrich Verlag, 2023; S. 162/ Mit freundlicher Genehmigung von Norbert Fabisch)

Karl Hirschlands Familie

Neben dem eben beschriebenen „großen“ Simon Hirschland Bankhaus gab es auch ein kleineres Bankhaus Hirschland, welches von Isaacs Sohn Levi Hirschland (1804-1863) als Levi H. Bank gegründet wurde. Dessen Sohn Herz Levi Hirschland führte die Tradition des väterlichen Bankgeschäfts ebenso wie sein Sohn Max (1881-1942), welcher 1942 im KZ Theresienstadt ermordet wurde, fort.

Max und Margot Hirschlands (geb. Freudenberg) Sohn Karl (1925-2015) und dessen Schwester Margot kamen schließlich 1939 mit den Kindertransporten nach England, wo Karl den Namen Charles Hannam annahm. Der Hauptunterschied zwischen den Banken bestand darin, dass die Simon Hirschland Bank erheblich größer als die Levi H. Bank war und sich im Gegensatz zur Levi H. Bank an Industrielle anstatt an Privatleute wandte.

Karls Schulzeit an der Goetheschule in Essen-Rüttenscheid

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Karl Hirschland (letzte Reihe rechts) in seiner Klasse in der Volksschule

(Quelle: Simon Hannam, privat)

Karls Aufnahme an der Goetheschule wurde als Sonderfall genehmigt, da damals nur noch eine begrenzte Anzahl der Schüler jüdisch sein durften. Schon von Anfang an fühlte sich Karl, aufgrund seines jüdischen Glaubens von seinen Mitschülern und Lehrern ausgeschlossen. Besonders die Turnstunden waren für ihn eine qualvolle Erfahrung. Sein Lehrer mochte ihn nicht und rief ihm, wenn er mal bei einer Übung versagte vor der gesamten Klasse Beleidigungen zu, was diese allzu gerne wiederholte. Karl zufolge sei sein einziger Vorteil ein ebenfalls jüdischer Mitschüler namens Karpf gewesen, welcher noch öfter gehänselt wurde, als er selbst. Über ein besonders demütigendes Erlebnis berichtet Charles Hannam in seiner Autobiographie: Auf dem Schulhof gab es damals eine große Holzkiste, in der die Kinder Essensabfälle zur Schweinemast sammeln sollten. Um seinen Anteil beizutragen, brachte auch Karl eine Tüte mit, doch als er zu der Kiste ging, wurde er Zeuge, wie Karpf von anderen Mitschülern in die Kiste geschubst und in die Abfälle gedrückt wurde. Aus Angst, ihm könnte das Gleiche passieren, versteckte sich Karl die restliche Pause lang auf der Toilette. Die Tatsache, dass sich sein Lehrer ein Lachen verkneifen musste, als er von der Aktion hörte, erschreckte ihn am meisten. 

Ihre Ferien verbrachten Karl und seine Schwester wie jedes Jahr in einem Ferienlager in Föhr. Er fühlte sich dort geschätzt und anerkannt, was er von seiner Schule nicht gewohnt war. 

Mit dem Wiederbeginn der Schule fingen auch die Beleidigungen erneut an. Für Karl und die anderen jüdischen Schüler gab es immer mehr Freistunden, welche sie im alten Karzer der Schule verbrachten, da sie nicht an den zunehmenden Stunden zur „Stärkung des arischen Bewusstseins“ teilnehmen sollten. Sie durften sich die Hitlerreden in der Aula ebenfalls nicht anhören und sollten diese Zeit im Karzer absitzen.  

Da Karl immer wieder zu spüren bekam, dass er bei seinen Klassenkameraden nicht sonderlich beliebt war, versuchte er durch lustige Aktionen sich den Respekt seiner Mitschüler zu verdienen.

Als eines Tages sein neuer Erdkundelehrer ihn vor der gesamten Klasse auf seinen vermeintlich arischen Körperbau ansprach und sich somit vollkommen blamierte, spürte Karl erstmals Anerkennung von seinen Mitschülern. Doch nachdem er für einen Streich einen Klassenbucheintrag bekam, sagte sein Klassenlehrer: „Ein Junge in deiner Lage kann sich so etwas gar nicht leisten“. Nach diesem Zitat würde Karl später sein Buch benennen: A boy in your situation (1977). 

Kurze Zeit später kam Karls Mutter mit mehreren Entzündungen ins Krankenhaus. Wenn Karl sie dort besuchte, versuchte er sie aufzuheitern, indem er ihr von seinen guten schulischen Leistungen erzählte, auch wenn er sich diese meist‘ nur ausdachte. Karls Eltern legten besonders großen Wert darauf, dass Karl gut Englisch sprach. Nach mehreren Operationen starb Karls Mutter schließlich im Krankenhaus. Dies verschlimmerte die Situation für ihn. Er schien sich immer mehr abzugrenzen und spielte beispielsweise oft allein im Garten mit seinem Luftgewehr. Während dieser Zeit wurde die Familie gehäuft mit Antisemitismus konfrontiert. Aufgrund dessen schafften sie sich einen Hund an, welcher sie im Zweifel beschützen konnte, doch Karl sah in ihm eher einen Freund und Spielgefährten. 

Da seinen Freunden verboten wurde, ihn zu besuchen, vereinsamte Karl zunehmend und lebte in ständiger Angst.

Novemberpogrom 1938

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Büro von Max Hirschland (Karls Vater) nach eindringen der SA in der Pogromnacht 1938

(Quelle: Fabisch Norbert. Die Hirschlands- Aufstieg und Vertreibung einer jüdischen Bankiersfamilie (Berlin Leipzig Hentrich & Hentrich Verlag, 2023; S. 166) Mit freundlicher Genehmigung von Norbert Fabisch)

Ein Jahr nach dem Tod seiner Mutter musste Karl miterleben, wie SA-Männer während des Novemberpogroms 1938 sein Elternhaus stürmten. Seine Schwester war zu dem Zeitpunkt in Berlin und sein Vater hatte mit dem Überfall gerechnet und sich, aus Angst verhaftet zu werden, vorsorglich in einem Geheimraum auf dem Dachboden versteckt. Die SA-Männer stürmten nachts das Haus und zertrümmerten Möbelstücke, zerschlitzten Gemälde und zerschlugen Porzellan. Sein Großvater versuchte die Männer ohne Erfolg zu besänftigen, indem er ihnen ein Glas Wein anbot. Karl, der zuvor eine seiner Pistolen vor der Polizei versteckt hatte, hatte panische Angst, dass sie jene finden und das Haus anzünden würden, weil sein Vater einem Feuer im Dachstuhl ausgeliefert wäre. Jedoch verschwanden die SA-Männer wieder, ohne Karls Pistole gefunden zu haben. Später in dieser Nacht wurde das Haus erneut von der SS gestürmt. Karl nahm die Männer allerdings als freundlicher wahr. Er bot ihnen Zigarren und den besten Weinbrand seines Vaters an. Mit dem Auftreten der Polizei, welche sein Großvater aufgrund des Überfalls gerufen hatte, gingen sie wieder. Er gab ihnen aber noch Geld, damit sie sich etwas zu trinken kaufen konnten.

Kurz nach dem Pogrom kamen viele neue Gesetze gegen Juden. Unteranderem durften sie nicht mehr ins Kino gehen, was Karl besonders traf. So kam es, dass er in Kinos außerhalb von Essen ging, wo man ihn nicht erkennen würde, obwohl er permanent Angst hatte, entdeckt zu werden. Karl durfte seit einiger Zeit ebenfalls nicht mehr zur Schule gehen.

Kindertransporte nach England

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Transportmarke (Quelle: Fabisch Norbert. Die Hirschlands- Aufstieg und Vertreibung einer jüdischen Bankiersfamilie.Berlin Leipzig Hentrich & Hentrich Verlag, 2023; S. 196/ Mit freundlicher Genehmigung von Norbert Fabisch)

Mit der Bezeichnung Kindertransport ist die Rettung von über 10.000 jüdischen Kindern aus dem Deutschen Reich ins europäische Ausland zwischen Ende 1938 und dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 gemeint. Die Kinder sind mit Zügen und Schiffen nach Großbritannien, Belgien, Schweden und andere Länder geflohen. Dabei konnten sie kaum Gepäck mitnehmen, sahen ihre Eltern nie wieder und waren häufig die einzigen Shoah-Überlebenden ihrer Familien. Die Kinder kamen in den Ankunftsländern in Pflegefamilien oder Kinderheimen unter und bauten sich dort über die Jahre, häufig schwer traumatisiert vom NS-Terror, ein neues Leben auf.

Karls Vater Max Hirschland veranlasste nach den Novemberpogromen die Ausreise seiner Kinder nach England. Dazu nahm er Kontakt zu Dr. Erich Klibansky auf, welcher 1919 das einzige jüdische Privatgymnasium des Rheinlands gründete und als dessen Direktor leitete.

Als Reaktion auf den ansteigenden Antisemitismus und die Verfolgung durch die NS-Diktatur, plante er, seine Schule nach Großbritannien zu verlegen und organisierte dafür Kindertransporte, wobei Karl dem vorletzten Transport am 9. Mai 1939 zugeordnet wurde. Am Tag der Abreise war sich Karl wohl aufgrund seines jungen Alters nicht dem kompletten Ernst der Lage bewusst und fühlte sich lange von seiner Familie im Stich gelassen. Später kam er jedoch zu der Erkenntnis, dass ihm dadurch das Leben gerettet wurde. Damals verabschiedete sich der junge Karl von seinem Großvater und verließ zusammen mit seinem Vater und den zwei spärlichen Koffern, die er nach den Ausreisegesetzen mitführen durfte, das Haus in Richtung Bahnhof. Nach einem letzten gemeinsamen Frühstück mit seinem Vater und einer eher kühlen und tränenlosen Verabschiedung am Bahnsteig, stieg Karl in den Zug Richtung London zusammen mit anderen jüdischen Kindern. Später erfuhrt Karl, dass sein Vater und die anderen Eltern dazu angehalten worden waren, keine Emotionen am Bahnsteig zu zeigen, da die Behörden die Kinder sonst aus dem Zug genommen hätten. Als Karl dann in Ramsgate ankam, wurde er zusammen mit einer Gruppe von 17 anderen jüdischen Jungen aus Deutschland und Österreich in einem lokalen Jugendheim einquartiert. Dabei fühlten sich die Jungen eher isoliert, da sie zwar täglichen Englischunterricht hatten, jedoch keine Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvierten durften und sich auch ansonsten so unauffällig wie möglich zu verhalten hatten.

Von seinem Vater erhielt er fast täglich Postkarten, doch diese ließ er meist unbeantwortet, da er damals wütend auf seinen Vater und seinen vermeintlichen Verrat war. Schließlich setzten sich sein Vater und seine Schwester bei Georg Hirschland für ihn ein, welcher dessen Schulkosten an einer englischen Privatschule übernahm. Karl war allerdings auch wütend auf Georg und die amerikanischen Hirschlands, die ihn aus seiner Sicht verraten hätten und nun ohne ihn und seine Familie ein Luxusleben in New York führen würden.

Leben in England

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Charles Hannam in der Armee ca. 1944

(Quelle: Simon Hannam, privat)

Charles besuchte fortan die Gilbert Hannam Grammar School in Midhust, trotz anfänglicher Sprachbarrieren baute er schnell Kontakt zu Mitschülern auf. Im Gegensatz zu seiner Schulzeit auf der Goetheschule beschreibt Charles, dass er sehr freundlich und respektvoll von sowohl der Schülerschaft als auch dem Lehrerkollegium behandelt wird. Der junge Charles war so beeindruckt und dankbar für diese Unterstützung, dass er sich dazu entschied, den Namen des Schulstifters, Gilbert Hannam, anzunehmen. Aus Karl Hirschland wurde jetzt endgültig Charles Hannam. Nachdem er seine Schullaufbahn an der Gilbert Hannam Grammar School in Midhust im Frühjahr 1943 abgeschlossen hatte, bewarb er sich als Student an der Cambridge Universität, jedoch bekam er zunächst nicht sein erhofftes Stipendium. Daraufhin entschied sich Charles, im selben Jahr in die britische Armee einzutreten. Er wollte gegen das Land kämpfen, das seine Familie verfolgt und vertrieben hatte. Sein Traum während seiner Zeit als Soldat war es, in einem Panzer sitzend nach Essen zu fahren. Seine Ausbildung schloss er in England ab. In dieser Zeit wurde England schwer durch deutsche Angriffe getroffen und bedroht. Nach Abschluss seiner Ausbildung wurde er, anstatt gegen die Deutschen zu kämpfen, nach Burma in Indien geschickt, wo er den Übergang zur Unabhängigkeit Indiens mit überwachen sollte. Er kam zu der Erkenntnis, dass sich der Hass und die Ignoranz der britischen Soldaten gegenüber dem indischen Volk kaum von dem unterscheidet, was er zuvor in Deutschland erlebt hatte, wie er in seinem Buch “Fast ein Engländer” niederschrieb. Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht erlebte Charles ebenfalls in Burma. Gleichzeitig erreichte ihn noch eine Nachricht von seiner Schwester, welche Charles mitteilte, dass sowohl sein Großvater, sein Vater als auch alle seine Freunde und Bekannte aus Essen, die nicht aus Deutschland ausreisen konnten, tot waren. Max Hirschland, Karls Vater, wurde 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und 1944 getötet.

Bis 1947 leistete Charles seinen Dienst im britischen Militär in Indien ab. Er kehrte nach England zurück und arbeitete zunächst ein Jahr lang als Lehrer an einer Privatschule, bis er 1949 ein Geschichtsstudium an der Cambridge Universität begann. Dies finanzierte er durch sein Lehrergehalt und seinem Gehalt als Soldat. Als Repräsentant der Cambridge-Universität reiste er seit seiner Flucht erstmalig in sein Geburtsland Deutschland. Dieser Austausch sollte als Geste der Versöhnung zwischen Deutschland und England dienen, doch Charles konnte zu diesem Zeitpunkt nicht an Versöhnung denken. Er sagte in einem Gespräch, dass er einen tiefen Hass gegen Deutschland verspüre. Dies gehe so weit, dass er sich bei seinem Besuch in seinem Heimatland als Engländer ausgebe und somit seine Herkunft und sein Schicksal verleugne. In einem Interview sagte er: „Alles Deutsche war schlecht”. Er hatte nachvollziehbare Vorurteile gegen Deutschland entwickelt, sodass er sich damals nicht einmal einen Volkswagen gekauft habe. Erst später konnte er die Einstellung gegenüber seinem Heimatland ablegen und er konnte nach und nach einsehen, dass nicht alle Deutsche schlecht waren. Bei seinen späteren Reisen durch Deutschland besuchte er verschiedene Städte, unter anderem auch Essen. Er beschreibt, dass nur noch Ruinen von seiner Heimatstadt übrig waren. Für sich schloss er eine Rückkehr nach Deutschland aus. Nachdem er wieder in England zurückgekehrt war, schloss er sein Studium an der Cambridge Universität ab. Er kam nun als leidenschaftlicher Befürworter der staatlichen Bildung an verschiedene Schulen und unterrichtete fortan als Lehrer.

Die Zeit als Lehrer

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Charles Hannam als Dozent an der Universität (Quelle: Simon Hannam, privat)

Während seiner Zeit als Lehrer veröffentlichte er eine große Anzahl an Berichten mit pädagogischen Ansätzen. Damit machte er sich einen großen Namen in der Erziehungswissenschaft. Schließlich promovierte er und erhielt einen Lehrauftrag an der Universität Bristol. Ende der 1940er Jahre traf Charles bei der Gründung einer demokratischen Studentenvereinigung in Deutschland auf Pamela. Pamela, genannt Pam, war Beamtin und Dozentin. Sie war die Tochter von Edith und Henry Gibson. 1960 heiratet er Pamela ,1962 wurde der erste Sohn David Hannam geboren. Die Geburt von David veränderte das Leben der Beiden stark, da er mit dem Down-Syndrom geboren wurde. Pam gab ihre Karriere als Fabrikinspektorin auf und kehrte nicht an ihren Arbeitsplatz zurück. 1964 wurde Simon Hannam geboren, 1967 Toby Hannam. Charles veröffentlichte 1976 zusammen mit Pamela das Buch “Parents and Mentally Handicapped Children”, in welchem sie von ihren Erfahrungen bei der Erziehung eines Kindes mit Down-Syndrom berichten. 1982 ließen sich Charles und Pamela scheiden. 1983 heiratete er Sue, mit welcher er seine Tochter Naomi hatte. Er zog mit seiner Frau Sue nach Devon, wo er seinen Lebensabend in einer ländlichen Region verbrachte. Charles starb am 28 Mai 2015 in Devon. Charles fühlte sich Zeit seines Lebens als Europäer.

Schriftsteller

1978 veröffentlicht er den ersten Band seiner dreibändigen Autobiografie. “A Boy in Your Situation” heißt der erste Band. Karl beschreibt hier seine Geschichte als jüdischer Junge von 1933-1940. 1979 veröffentlicht er den zweiten Band: “Almost an Englishman”. 2008 erschien der dritte Band: “Outsider Inside”.

Text von: Johann Kaufmann, Isabell Hermanski und Johanna Händler, Jahrgangsstufe 10

Quellen

  • „Hirschland“,  Hirschland. Veröffentlicht 31. August 2023, zugegriffen am 14. Mai 2024. URL: https://hirschland.com/.

  • „Charles Hannam-Kurzbiografie“, Kindertransporte aus Nordrhein-Westfalen. Zugegriffen 14. Mai 2024. URL: http://www.kindertransporte-nrw.eu/hannam/hannam_bio_1.html.

  • Norbert Fabisch (Vortrag an der Goetheschule); 08.02.2024

  • Interview Dr. Simon Hannam; 08.05.2024

  • Fabisch, Norbert. Die Hirschlands- Aufstieg und Vertreibung einer jüdischen Bankierfamilie (Berlin, Leibzig: Hentrich & Hentrich Verlag, 2023).

Hans Winter

Hans Winter- JG. 1911

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Hans Winter 1911

(Quelle: Archiv Alte Synagoge Essen)

Flucht 1918 England - 1939 Schweiz - 1940 Palästina

Hans Winter wurde am 2. Januar 1911 in Dortmund, damaliges Preußen, geboren und zog 1912 mit seinen Eltern nach Essen. Dort lebte er bis zu seinem 24. Lebensjahr, als er aufgrund der politischen Situation gezwungen war, Essen zu verlassen. Er wurde 1916 eingeschult und schloss seine schulische Laufbahn 1926 an der Goetheschule in Essen-Rüttenscheid ab. Nach der Schule begann er eine Lehre in einem Textil- und Bekleidungsgeschäft und arbeitete später als Ersatzmanager in einem Kaufhaus in Bochum. Schließlich gründete er seine eigene Bekleidungsfabrik, Winter & Co, die jedoch aufgrund antisemitischer Diskriminierung schließen musste. Seine autobiografischen Aufzeichnungen in englischer Sprache, die er der Alten Synagoge in Essen übergab und die im Folgenden zusammengefasst werden, geben einen Einblick in die Familiengeschichte von Hans Winter, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, als seine Vorfahren aus Spanien vor der Inquisition flohen und sich in den Niederlanden niederließen, bevor sie später nach Deutschland zogen. Die familiären Hintergründe von Hans Winter werden detailliert beschrieben, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits. Die mütterliche Linie war seit der römischen Zeit in Deutschland ansässig und versuchte, den periodischen Verfolgungen der Juden zu entkommen. Es werden auch die Berufe der Vorfahren skizziert, die oft mit Handel und Viehzucht zu tun hatten. Hans Winter schreibt in seinen Aufzeichnungen auch über die Erfahrungen seiner Familie während der Shoa, bei der viele seiner Verwandten ums Leben kamen.

Familie

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Hans Winter und seine Schwester

(Quelle: Archiv Alte Synagoge)

Der Text offenbart die Erinnerungen und prägenden Erfahrungen von Hans Winter während seiner Jugendzeit, die von engen familiären Bindungen und einer tiefen Verbundenheit mit der Natur geprägt war. Er verbrachte viele Stunden im Garten, in denen er die Natur beobachtete und die regelmäßigen Familientreffen genoss.

Auswirkungen der Shoa

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Hans Winter und Fußballmannschaft

(Quelle: Archiv Alte Synagoge)

Doch trotz der schönen Kindheitserinnerungen beeinflussten in erster Linie die Auswirkungen der Shoa auf sein und auf das Leben seiner Familie sowie anderer jüdischer Familien seine Erinnerungen. Während seiner Schulzeit führte Hans loyal bleibende Freundschaften, wurde jedoch auch mit antisemitischen Ansichten einiger Mitschüler konfrontiert, die der aufkommenden NS-Ideologie anhingen.

Trotz dieser Herausforderungen bewahrte er stolz seine deutsche Identität, auch wenn der zunehmende Antisemitismus bereits in seiner Schulzeit spürbar war. In seiner Freizeit genoss Hans regelmäßig Fußballspiele seines Lieblingsvereins ETB zusammen mit seinem Vater.

Darüber hinaus hatte er das Privileg, kostenlose Operettenaufführungen zu erleben, da Verwandte von ihm in einem Theater arbeiteten. In den Jahren 1926/27 unternahm er auch aufregende Ausflüge und Reisen nach Düsseldorf, Bad Godesberg, Paris und Amsterdam, um sportliche Veranstaltungen zu besuchen und neue Erfahrungen zu sammeln.

Sein Leben

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Hans Winter (mittig im Bild) – Spaziergang mit Freunden

(Quelle: Archiv Alte Synagoge)

Die turbulenten Jahre des Ersten Weltkriegs, in denen sein Vater im Krieg diente, prägten das Leben von Hans und seiner Familie. Seine Mutter führte verschiedene Geschäfte, darunter einen Bäckerei-Verkaufsladen und später einen Tabakladen. Die Großmutter spielte eine wichtige Rolle bei der Kinderbetreuung und pflegte dabei jüdische Traditionen, obwohl Hans' Eltern nicht besonders religiös waren. Dennoch erhielt er selbst religiösen Unterricht und lernte Hebräisch. Hans Winter berichtet ebenfalls über die wachsende Bedrohung durch den aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland. Er erinnert sich an die politische Instabilität nach dem Ersten Weltkrieg, die Beteiligung der Krupp-Familie an der Rüstungsproduktion und die zunehmende Diskriminierung von Juden durch die NSDAP. Winter erzählt von den verschiedenen jüdischen Jugendgruppen. Er erläutert die allgemeine Motivation der Jugendorganisationen, so vielen Mitgliedern wie möglich durch landwirtschaftliche Bildung in Hachshara-Zentren (deutsch: „Vorbereitung“) die Migration nach Palästina zu ermöglichen. In der Vorkriegszeit benötigten Immigranten einen Nachweis über landwirtschaftliche Bildung, um von dem Vereinigten Königreich ein Visum für Palästina zu erhalten. Winter war sehr aktiv als Leiter des Jugendvereins in Essen und später auf regionaler Ebene, bevor er einem Jobangebot als Manager in die Bürozentrale der JPD (Jüdischer Pfadfinderbund Deutschlands) in Berlin folgte. 1933 wurde er verhaftet, als er sich auf dem Polizeirevier nach dem Schicksal eines seiner Schützlinge erkundigte. Dieser war in Haft genommen worden, da er ein braunes Pfadfinderhemd trug, obwohl die Farbe der Hitlerjugend vorbehalten war. Winters Nachfrage führte zu acht Tagen Einzelhaft. 

Später wurde er als Abgeordneter der Zionistischen Vereinigung für Deutschland der stellvertretende Vorsitzende der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Seine Arbeit im Reichausschuss legte besonderen Fokus auf die Lehre der jüdischen Kultur und Geschichte, was ihn in viele deutsche Städte als Organisator von Seminaren führte. Nach dem Krieg wurden Aufzeichnungen über diese Seminare und andere Aktivitäten Winters in Unterlagen der Hitler-Jugend gefunden, welche die jüdischen Jugendorganisationen bereits zu dieser Zeit stark überwachten. Auch im Alltag wurde die Präsenz der Nazis immer stärker. Der Antisemitismus der Regierung führte anfangs zu einer Unterstützung der Hachshara-Zentren durch die NS, um die schnelle Ausreise möglichst vieler Juden aus Deutschland zu ermöglichen. Dies drückte sich u.a. durch die Bereitstellung von Ausbildern in Zentren wie dem Landwerk Ahrensdorf aus, welches Hans Winter in der Nähe von Berlin eröffnete und leitete.

Die Erinnerungen Hans Winters beziehen sich hauptsächlich auf seine Arbeit im Landwerk Ahrensdorf, wo ein klarer Tagesplan die Jungen und Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren begleitete. Die Vormittage galten der landwirtschaftlichen Bildung und am Nachmittag erhielten sie Lerneinheiten über jüdische Geschichte, Kultur, Zionismus und Hebräisch. Doch auch im Landwerk Ahrensdorf war die Naziherrschaft nicht zu ignorieren. Denn offiziell stand die Emigration der jüdischen Bewohner unter der Aufsicht der Gestapo, weshalb sporadische Besuche der SS den Alltag unterbrachen. Für die Besuche wurde regelmäßig geprobt, weshalb es nie zu Problemen mit den Behörden kam und das Pfadfinderverhalten oft gelobt wurde. Allerdings verschärften sich die Maßnahmen gegen Juden in Deutschland immer mehr. Dies zeigte sich besonders während der Pogromnacht im November 1938. Die Maßnahmen gegen deutsche Juden wurden in der Folgezeit verschärft. Während Winters Eltern in Essen von den Nazis brutal überfallen, aus ihrer Wohnung gejagt wurden und sich mit anderen jüdischen Mitbürgern für drei Tage auf einem Friedhof verstecken mussten, wurde das Landwerk Ahrensdorf verschont. Hans Winters kranker Vater starb kurz danach, weil seine Mutter nicht schnell genug einen jüdischen Arzt finden konnte.

Das Landwerk Ahrensdorf war verhältnismäßig gut auf die Pogromnacht vorbereitet, denn ein Polizist aus dem Nachbarort hatte Hans von den Plänen der Nazis berichtet. Sie verbarrikadierten die Türen, verlegten den Boden mit Matratzen, schliefen alle im Haupthaus und verteilten Wachtschichten.

Nach der Pogromnacht versuchten viele Juden ihr Heimatland zu verlassen, doch auch der Rest der Welt zeigte sich intolerant. Hans Winter wurde zu einer Notsitzung in Berlin einberufen, um die Zukunft möglichst vieler jüdischer Jugendliche und Kinder im Ausland zu sichern. Besonders die Auswanderung nach Palästina wurde aufgrund der begrenzten Visa des Vereinigten Königreichs erschwert. Nach komplizierten Verhandlungen gelangte Winter schließlich über Amsterdam nach London, wo er bei seiner Cousine Ruth unterkommen konnte. Schon bald begann Hans Winter mit seiner Arbeit im “Central Bureau for the settlement of German Jews”. Er bereitete Einwanderungsoperationen für jüdische Jugendliche aus Mitteleuropa nach Palästina vor. Die Operationen wurden sorgfältig geplant, um eine effiziente Bearbeitung von Einwanderungszertifikaten und Unterkunftsarrangements für ankommende Gruppen sicherzustellen. Empfangszeremonien im Hafen von Haifa und die Transportlogistik wurden akribisch koordiniert, basierend auf den Ankunfts- und Abfahrtsplänen der Schiffe. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 unterbrach das etablierte System und erforderte sofortige Maßnahmen, um die Funktionalität aufrechtzuerhalten. Winter wurde beauftragt, eine Jugendabteilung innerhalb des temporären Genfer Büros der Jewish Agency zu leiten, um sicherzustellen, dass der Einwanderungsprozess trotz der Kriegsherausforderungen fortgesetzt wurde. Die Kommunikation zwischen den Abfahrtsorten und Jerusalem wurde schwieriger, wobei alle Nachrichten über Winters Schreibtisch liefen. Trotz zahlreicher Hindernisse führten Winters Bemühungen zur erfolgreichen Einwanderung von über tausend jüdischen Jugendlichen nach Palästina, hauptsächlich durch die Charterung von Schiffen von Triest nach Haifa. Winter reiste mehrmals nach Triest, um Abfahrten zu überwachen und die ordnungsgemäße Identifizierung von Einwanderern sicherzustellen. Die Stimmung der jüdischen Gemeinschaft in Genf spiegelte zunehmende Nervosität wider, als Hitlers Krieg voranschritt, insbesondere nach dem „Blitzkrieg“ in Polen.

Winters Mutter, die in Deutschland geblieben und zunehmend in Gefahr geriet, beantragte mit der Unterstützung ihres Sohnes ein Einwanderungszertifikat nach Palästina. Trotz bürokratischer Hürden und des Krieges erhielt Winters Mutter schließlich ein Visum für Palästina, das ihre Abreise aus Triest ermöglichte. Winters eigene Reisepläne nach Palästina wurden durch die Schließung der schweiz-italienischen Grenze aufgrund der Kriegsvorbereitungen Italiens unterbrochen. Winters improvisierte Reise, um Italien zu erreichen, beinhaltete unerwartete Herausforderungen. Wiedervereint mit seiner Mutter in Bologna begleitete Winter sie nach Rom, wo sie ein Flugzeug nach Palästina bestieg. Winter blieb zunächst in Europa und setzte seine Bemühungen fort, jüdischen Flüchtlingen während des Krieges zu helfen.

Nach seiner Rückkehr nach Rom bereitete er sich auf die Reise nach Palästina vor und nahm schließlich ein Schiff von Neapel aus. Trotz vielfältiger Herausforderungen schaffte er es rechtzeitig an Bord und reiste mit anderen Flüchtlingen nach Haifa. Nach verschiedenen Stopps erreichten sie schließlich ihr Ziel. Am Ende einer langen Reise kam Winter in Haifa an, wo er aufgrund seines bolivianischen Passes und seiner deutschen Herkunft zunächst Schwierigkeiten mit der britischen Passkontrolle hatte, aber schließlich konnte er mit Hilfe der Jewish Agency passieren und wurde mit seiner Schwester und Mutter wiedervereint.

Winter geht in seinen Aufzeichnungen abschließend auf die Ereignisse in Palästina, einschließlich der Beschreibung des Lebens in der Siedlung Mazuva nahe der libanesischen Grenze und der Begegnung mit Spannungen zwischen jüdischen Siedlern und arabischen Nachbarn, ein. Nach seinem Umzug nach Geva versuchte Winter vergeblich, den britischen Streitkräften beizutreten. Durch seinen Aufenthalt in Geva kam Winter zudem vermehrt im Kontakt mit internationalen Streitkräften und australischen Soldaten. Winter berichtet generell positiv über seine Zeit in Geva und lobt die starke gemeinschaftliche Identität, welche auch er genoss. Jedoch macht Winter deutlich, dass auch diese Gemeinschaft und Geva weder seine Heimat ersetzen noch den Schmerz lindern konnte, den er durch den Nationalsozialismus und den Verlust seiner Heimat erlitten hatte.

Später verließ Hans Winter England und lebte unter anderem in Palästina, Südafrika und den USA. Trotz seines langen Lebens und der Vielfalt seiner Erfahrungen konnte Hans Winter die schmerzvolle Zeit des Nationalsozialismus nie vergessen. Seine Lebenserinnerungen schrieb er 1990 in New York in englischer Sprache nieder. Sie sind heute Teil des Archivbestands der Alten Synagoge Essen und werden in unseren bilingualen Geschichtskursen als wichtige historische Quelle im Unterricht genutzt. 

Hans Winter starb vermutlich am 14.5.1999 in Flushing, Queens, NY

Text: Pauline Schepke, Mieke Arnold, Marlene Walter, Jgst.11,12

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